DER ÖSTERREICHISCHE GROßMEISTER NIKOLAUS SCHWÄRZLER SPRICHT ÜBER DAS WESEN DER FREIMAUREREI, SITTLICHE VERVOLLKOMMNUNG UND POLITISCHEN EINFLUSS.
A.T.:Seit wann sind sie Freimaurer? Wie hat es Ihre Familie aufgenommen, als sie erfuhren, dass Sie Freimaurer sind?
N.S.:Seit dem 22.11.1980. Meine Familie – meine Frau, meine Eltern und Geschwister – haben es nicht gegen meinen Willen „erfahren“, sondern ich habe ihnen meine Bewerbung um Aufnahme mitgeteilt, das Wesen der Freimaurerei erläutert und unsere Beziehungen haben keine Trübung erfahren.
Was ist der Sinn und Zweck der Freimaurerei?
Den Menschen durch Aufklärung entwickeltes Menschentum näher zu bringen, dieses sich selbst und seiner Umgebung bewusst zu machen und danach für sich und für die Menschheit zu streben.
Betrachten Sie sich immer noch als Geheimbund?
Soweit ich es überblicke, ist die Freimaurerei in allen demokratisch organisierten Ländern jeweils ein Verein nach dem geltenden Recht und bietet keine Kriterien zur Einstufung als Geheimbund. Die Freimaurerei Österreichs bekennt sich ausdrücklich zur Rechtsordnung dieses Landes.
Was bedeutet heute, im 21. Jahrhundert das Brauchtum der Freimaurer?
Im Bereiche der Großloge von Österreich (und ich nehme an: auch in allen anderen Ländern) ist das gesamte „Brauchtum“ der Freimaurer Ausdruck von unterschiedlich tiefsinniger Symbolik und ist jenseits bloßen Brauchtums nach allgemeinem Verständnis angesiedelt. Das „Brauchtum“ der Freimaurer hat mit herkömmlicher Brauchtumspflege nichts zu tun.
Wie wird man Freimaurer? Kann man als Schüler, Student oder als einfacher Handwerker, Bauer aufgenommen werden?
Um die Aufnahme in einen freimaurerischen Verein (in eine Loge) muss man sich bewerben. Man kann nicht einfach den Betritt erklären. Die Aufnahme erfolgt erst nach mehreren Gesprächen, die gewährleisten sollen, dass der Suchende (der Aufnahmewerber)weiß, was Toleranz ist und zu ihr al einem sehr hohen Wer auch steht. Der Aufnahmewerber muss sich vorbehaltlos zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, und zu einem Streben nach Verwirklichung des Wahren, Guten und Schönen bekennt. Welchem ehrenhaften Beruf ein Suchender nachgeht, ist nicht von großer Bedeutung. Es kommt darauf an, welche Werte er für sich und für die Entwicklung der Menschheit er als wesentlich erachtet. Eine Aufnahmebedingung ist, dass er das 24. Lebensjahr vollendet hat.
Sie sind ein echter «Männerbund», der keine Frauen aufnimmt. Woher kommt das?
Es scheint, dass alle angenommenen (vermuteten) Quellen für den Ursprung der Freimaurerei männliche Domäne waren. Dies trifft wohl auch auf die wahrscheinliche Hauptwurzel der Freimaurerei, auf die Werkmaurerei in Bauhütten der Steinmetze zu, die im Mittelalter ihre Blüte hatten. Mit dem Übergang von der Werk-Freimaurerei zur geistig arbeitenden Freimaurerei kam auch die Frage des Zuganges von Frauen in die Diskussion. Diese Frage wird von den Großlogen, die mit der Vereinigten Großloge von England (einer „Prima inter Pares“) negativ beschieden. Dafür gibt es unterschiedliche Begründungsansätze. Einer davon ist das mögliche Spannungsfeld der Geschlechter. Es gibt parallel zur männlichen Freimaurerei auch eine rein weibliche und eine gemischte Freimaurerei, die zwar beide von den main-stream-grand-lodges nicht anerkannt sind, die aber nach meinem Urteil dessen ungeachtet sehr wertvolle, hervorragende Arbeit leisten; Arbeit ganz im Sinne auch der männlichen Vorstellungen der Freimaurerei und der von ihnen als wesentlich erkannten Werte.
Welche Pflichten übernimmt man als Freimaurer gegenüber Brüdern aber auch der Gesellschaft?
Gegenüber den Brüdern übernimmt man die Verpflichtung einer sich von selbst ergebender erhöhten Wertschätzung und Unterstützung, weil ja alle Brüder an denselben Zielen arbeiten. Gegenüber der Gesellschaft die unausgesprochene Verpflichtung, sich so zu verhalten, dass schon aus dem Verhalten erkennbar wird, dass es sich um einem Menschen von hohen Qualitäten handelt, der dem Mitmenschen Glück nicht neidet, der den Schwächeren zu fördern bereit ist und Menschlichkeit in seiner nächsten wie in der ferneren Umgebung umzusetzen bereit ist. Familie, Bruderschaft und berufliche Stellung sind die diesbezüglichen Felder seiner Bewährung.
Die Freimaurer sprechen von “sittlicher Vervollkommnung” als einem ihrer Hauptziele. Was heißt das konkret?
Wir alle wissen, was unter Ethik zu verstehen ist. Freimaurerei hat Ethik und ein auf ihr basierendes, aber um die Menschenliebe ergänztes Menschenbild zum Inhalt; wir alle wissen bei einem Vergleich von zweierlei Verhalten, welches von beiden dem Anspruch von Ethik und einer Vorstellung von allgemeiner Menschenliebe näher ist.
Wie steht es mit der konkreten Umsetzung freimaurerischer Ideale in der heutigen Gesellschaft? Ist es jemals gelungen, freimaurerische Ideale in die sozialpolitische Praxis umzusetzen?
Es geht nicht nur um die sozial-politische Praxis, sondern ein deutlich breiteres Spektrum. Am Anfang dessen, was an masonischen Forderungen unter Brüdern selbstverständlich war, stand eher die Entwicklung der Menschenrechte und einer rechtsstaatlichen Demokratie. Sowohl die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika wie auch jene der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist wesentlich von Freimaurern geprägt. Erst nach diesem primären Schritt kam auch die Zuwendung zu sozialen Themen. Der österreichische Sozialstaat geht im Besonderen auf die
Freimaurer Ferdinand Hanusch und Julius Tandler zurück.
Darf man als Freimaurer über den Bund und die Brüder offen sprechen? Ihre, vor kurzer Zeit in Wien begonnen, öffentlichen Gesprächsrunden über Themen der Freimaurerei sind sehr beliebt. Wie sieht die Öffentlichkeitsarbeit der österreichischen Großloge heute aus?
Das Gespräch über Freimaurerei ist jedem Bürger und jedem Bruder Freimaurer in gleicher Weise erlaubt. Jeder kann auch von sich selbst sagen, dass er Freimaurer ist, jedoch – ohne deren ausdrückliche Zustimmung – nicht von anderen. Die Großloge von Österreich ist um objektive Information bemüht, wie sie aus dem von meinem Amtsvorgänger heraus gegebenen Buch „Die Freimaurer“ hervorgeht. Sie lanciert aber keine Informations-Kampagnen, betreibt also keine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Wird sie aber mit dem Thema der Freimaurerei und ihres Wesens konfrontiert, so stellt sie sich dem Gespräch mit Selbstverständlichkeit.
Was haben die Freimaurer heute für ein Image in der österreichischen Öffentlichkeit?
Es gibt kein aktuelles Umfrageergebnis. Die Freimaurerei hat nach meiner Beobachtung noch nicht jene Wertschätzung der Gesellschaft, welche sie tatsächlich verdienen würde. Nach meinem Urteil ist aber unter Menschen mit einem allgemein positiv kritischen Geist durchaus eine Wendung zu beginnender Wertschätzung eingetreten.
“Die Freimaurer haben laut eigener Einschätzung nach wie vor politischen Einfluss. Allerdings sei dies von Land zu Land unterschiedlich “ , sagte der ehemalige Großmeister der Großloge von Österreich, Michael Kraus, im Gespräch mit der österreichischen Presseagentur APA vor einiger Zeit. Erläutern sie uns bitte diese Aussage?
Diese Aussage zu erläutern ist Sache dessen, auf welchen sie zurück geht. So wörtlich wie die Frage behauptet, würde ich die Sache nicht nehmen. Was mir scheint ist, dass der Einfluss der Werte der Freimaurer – sieht man von politischen Ausreißern ab – an Akzeptanz zunehmen.
„In Österreich gebe es für die Freimaurer nicht so viel zu tun, brennendere Probleme sieht Kraus auf europäischer Ebene, etwa bei der Schaffung einer europäischen Identität“, so das österreichische Magazin NEWS. Wie würden Sie als Großmeister der Österreichischen Großloge diese Fragestellung heute beschreiben?
Die Frage müsste präzisiert werden, auf welchen Gebieten es allenfalls wie viel zu tun gebe. Es wird nicht ganz zu Unrecht gesagt, Europa sei an sich eine Wertegemeinschaft bzw soll eine solche werden. Ich denke, dass Europa sich vom österreichischen Modell von Sozialpartnerschaft
und von sozialer Marktwirtschaft (auch wenn beide Gegner haben) einiges lernen kann. Dass Europa aber auf der Basis des gemeinsamen Konsenses zur Europäischen Konvention der Menschenrechte bereits eine – wie sonst weltweit nicht zu findende – Identität hat, scheint mir außer Diskussion zu stehen. Es geht aber permanent darum, ihren Inhalt zu vertiefen und konsequent umzusetzen.
Wie können Freimaurer oder Freimaurerlogen zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Identität beitragen?
Indem ihre Mitglieder jederzeit für die in Europa in fast jeder Verfassung verankerten Grund- und Freiheitsrechte mit Überzeugung ebenso eintreten wie für die Europäische Menschenrechtskonvention und sich permanent fragen, welches die Eckpunkte einer allgemeinen Menschenliebe sind und ob etwa hemmungslose Herrschaft des Kapitals oder dessen Gegenteils in der Form der Herrschaft einer Klasse über die anderen diesem Begriff gerecht zu werden vermögen.
Wie ist die Freimaurerei verwaltungstechnisch organisiert? Ein EU-Land, eine Großloge? Was ist eine Großloge?
Eine Großloge ist nach unserem Verständnis ein Verein, dessen Mitglieder nicht Individuen, sonder wiederum Vereine, nämlich die einzelnen Logen sind. Die Vereine beauftragen den Verein Großloge der Freimaurerei an sich zu dienen und über die Arbeit der Logen in einer gewissen Bandbreite zu wachen. In manchen Ländern gibt mehrere Großlogen, in sehr vielen nur eine, die aber alle zu einander in einem Verhältnis gegenseitiger Anerkennung stehen.
Wie beurteilen Sie die gemeinsame Kooperation zwischen den Großlogen auf freimaurerischen Ebene in Europa? Wie wichtig ist dabei die Vorreiterrolle der englischen Großloge, UGLoE in Europa?
Ausgangspunkt der Freimaurerei – weltweit, nicht nur in Europa – ist die englische Freimaurerei. Ihr kommt diskussionslos die Stellung einer „Prima inter Pares“ zu. Es herrscht aber auch in der Beziehung zur UGLoE der allseits anerkannte Grundsatz, dass es in den Beziehungen von Großlogen zu einander keine Unter- und Überordnung gibt. Dass Großlogen in Fragen der Anerkennung anderer Großlogen immer wieder eine Orientierung am Verhalten der dieser – rechtlich gleichgestellten, aber doch – „Mutterloge“ suchen, ist kein störender Faktor und ist aus der langen Tradition und Erfahrung der UGLoE zu erklären.
Haben Sie ständigen Kontakt mit der Nationalen Großloge von Rumänien, geführt von Großmeister Eugen Ovidiu Chirovici?
Die beiden Großlogen von Rumänien und Österreich stehen zueinander im Verhältnis von Anerkennung und Wertschätzung. Wir nehmen jede Gelegenheit zum Dialog wahr, so zuletzt auf dem Großlogentag von Berlin am 30.Oktober dieses Jahres.
Waren Sie jemals in Rumänien, haben sie sich mit den rumänischen Brüdern getroffen?
In masonischen Themen war ich leider noch nicht in Rumänien, doch habe ich rumänische Brr schon in Moldawien und in anderen Ländern getroffen.
Seit wann sind sie Freimaurer? Wie hat es Ihre Familie aufgenommen, als sie erfuhren, dass Sie Freimaurer sind?
Seit dem 22.11.1980. Meine Familie – meine Frau, meine Eltern und Geschwister – haben es nicht gegen meinen Willen „erfahren“, sondern ich habe ihnen meine Bewerbung um Aufnahme mitgeteilt, das Wesen der Freimaurerei erläutert und unsere Beziehungen haben keine Trübung erfahren. Als die Zeit dafür reif wurde, habe ich auch meine beiden Töchter in das Wissen um meine Wertschätzung für das Weltbild der Freimaurer einbezogen und beide sind von diesem in gleicher Weise angetan.
Warum sind sie Freimaurer geworden?
Weil ich eine Ahnung davon bekam, dass es keine andere Vereinigung geben dürfte, die mir bei allen sehr hohen Forderungen an die Entwicklungsbereitschaft ihrer Mitglieder auch den nötigen Freiraum anbieten werde, um mich entwickeln zu können: die Einladung, frei und ohne Anlehnung an andere Weltbilder zu stehen.
Wie lautet ihre brüderlich-ethische Motivation als österreichischer Großmeister? Warum sind sie Großmeister geworden?
„Großmeister“ ist eine ehrenvolle Funktion und Funktionsbezeichnung. Ich sehe mich als den Ersten Diener der GLvÖ, der seinen Beitrag dahin gehend zu leisten hat, dass die Bedingungen dafür gegeben bleiben, jenes hohe Niveau zu erhalten und noch zu steigern, für welches die GLvÖ in ganz Europa hohe Wertschätzung erfährt. Weil mein Vorgänger im Amte meinte, nun sei es Zeit, aus dem Schatten heraus zu treten, habe ich mich den Hearings und letztlich der Wahl gestellt.